Uri Swenja Geller

1 1/2 Wochen sind schon in England verstrichen und mein Körper hält bisher recht gut zu mir.

Ich merke allerdings, dass ich mich während der Prüfungsphase in Deutschland recht wenig außerhalb der Uni und unserer Wohnung bewegt habe. Und zwar anhand meiner bzw. der nicht existierenden Kondition. Zumindest hoffe ich, dass es nur das ist, da man dagegen schnell etwas unternehmen kann.

Vor einigen Tagen waren wir eine relativ weite Strecke spazieren und am Ende des Spaziergangs habe ich meine Beine fast gar nicht mehr nach oben bekommen, konnte mich kaum noch selber auf diesen halten und hing nur am Arm meines Freundes. Wie bei meinem letzten Schub…

Ich habe es während des Weges bemerkt und musste mir fast die Tränen verkneifen, die aus Angst drohten, in mir hochzusteigen. Ich hatte in diesem Moment solche Panik, dass das der nächste, der unberechenbare, der befürchtete Schub weit weg von Zuhause und weit weg von Kali ist.

Ach Swenni, wir sind einfach nur zu faul gewesen in letzter Zeit. Mach dir keine Gedanken, mit ein bisschen Übung bist du wieder auf deinem alten Stand. Alles ist gut.

Kaum hatte er das gesagt, wurde mir klar, dass er recht hat. Natürlich war ich in den letzten Wochen sehr selten unterwegs und habe mich hauptsächlich aufs Liege und Lernen konzentriert. Natürlich merkt das auch mein Körper.

Wir haben uns dann fest vorgenommen, jeden Tag wenigstens ein Mal, wenn es auch nur eine kurze Strecke ist, zu laufen und somit meinen Körper auf Trab zu halten und siehe da: die Strecken, nach denen ich sichtbar erschöpfter werde, werden länger und länger.
(Ausnahme: Einen ganzen Tag in London verbringen war doch noch ein kleines Bisschen zu viel des Guten.)

Und weiterhin hatte ich seit 2 Wochen keinen einzigen Krampf und hatte fast vergessen, dass die Epilepsie auch noch existiert. Doch gestern Abend habe ich beim einschlafen so lange daran gedacht, dass postum meine Hand und mein Fuß damit begonnen haben, zu krampfen. Kann man so etwas mit Gedanken kontrollieren? Und.. bin ich jetzt vielleicht auch dazu in der Lage, Löffel zu verbiegen?

Drogenschmuggler

Nun ja, hier sitze ich nun in einem Vorort von London mit meinem Liebsten am Tisch im Garten unserer Gastgeber und lasse den Tag Revue passieren. Ihr glaubt nicht, wie froh ich bin, dieses Mal mitgekommen sein zu können. (was für eine Verstrickung von Worten)

Wir haben gestern noch  in aller Ruhe unsere Wohnung geputzt, den Koffer gepackt und uns mental auf den Urlaub vorbereitet, was wirklich eine seeehr anstrengende Aufgabe war.

Heute Morgen sind wir gegen um 9 mit dem ICE zum schönsten Flughafen der Welt (ACHTUNG: IRONIE) gefahren: Berlin Tegel. Ich habe extra vorne am Informationsschalter des Flughafens nachgefragt, ob es okay sei, dass ich so viele Medikamente mit in mein Handgepäck nehme (200 x Levi, 168 x Tex, 100 x Vitamin B6 und unzählige Vitamin D3). Da dies bejaht wurde, war ich sehr zufrieden.

Ich habe sicherheitshalber noch einmal beim Check-In gefragt, ob das für diese Fluggesellschaft auch so gelte und dann wurde in meinem Beisein bei der Securityabteilung nachgefragt und dies wieder bejaht.

Also sind wir zwei voller Vorfreude zum Security Check, haben unsere Sachen auf das Band gelegt, haben beide nicht einmal gepiept beim Durchgehen (kennt man ja sonst von Knöpfen etc.) und uns wie Bolle gefreut. Ich war vor meinem Besten, habe meine Sachen in meinen Rucksack gepackt und auf einmal tippte mich jemand von hinten an.

Haben Sie alles? Dann kommen sie jetzt bitte mit zur erweiterten Sicherheitskontrolle!

Gesagt, getan.. Ich wurde in ein Nebenzimmer gebracht, konnte meinem Begleiter nicht einmal bescheid geben (es ist schwierig, genug Umschreibungen für den Freund zu finden, wenn man den Namen nicht unbedingt nennen will) und dann wurden Abstriche von Hosenbund und Rucksack gemacht, Ein Drogentest.

Anscheinend war dieser positiv und die Polizei wurde gerufen. Ich dachte zwar, dass das ein Scherz sei aber keine 3 Minuten später standen zwei vollmontierte Beamte vor mir und ich musste mich rechtfertigen, was ich mithabe, wieso das so ist und so weiter.

Durch die Tabletten können da Mikrobestandteile dran sein, die den Test positiv werden lassen.

Nachdem mein Rucksack ein weiteres Mal durchgeröntgt wurde, durfte ich zurück gehen und meinen Tag genießen.

Herzklopfen von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Der Flug war ganz angenehm, heute hatte ich noch keine Krämpfe trotz der langen Reise, die Unterkunft ist super klasse und ich bin zufrieden..

Krrrrch, over and out.

Lohnt es sich überhaupt, Glauben in die Menschheit zu haben?

Bis vor einer Stunde habe ich mich noch komplett gefreut, euch von den neusten Dingen zu berichten und dann..

Eine Millisekunde später liege ich in der dreckigen Straßenbahn auf dem Boden und weine – aus Wut und aus Fassungslosigkeit.

Doch von vorne: Seit meinem letzten Eintrag ist es mir gut ergangen. Die Krämpfe haben nachgelassen und der Tag meines Eintrags war wirklich der erste, an dem ich keinen Krampf hatte. Ab und zu und an manchen Tagen hatte ich dann doch fokale Anfälle aber nur so 1-3 Male täglich, Freitag und Samstag war ich komplett anfallsfrei und Sonntag hat meine Hand auch nur einmal gekrampft, Es geht also bergauf.

Heute hatte ich dann einen Termin beim Neurologin (bei Kalis Kollegin, da sie selber im Urlaub ist). Alles gut- Da ich Levi so gut vertrage und wir ja komplette Beschwerdefreiheit haben wollen, haben wir es jetzt noch ein zweites Mal hochdosiert und hoffen, dass das dann den gewünschten Erfolg bringt. Danach bin ich noch zur Apotheke, um mir Nachschub von meiner Freundin Tec zu holen, damit ich auch genug davon für unsere Reise (die schon in 6 Tagen beginnt, wuuuuuh) habe. So eine große Packung hatten sie nicht vorrätig und somit hat mir der Apotheker angeboten, da er eh heute Abend in der Nähe unserer Wohnung ist, dass er vorbeikommt und mir die Tabletten bringt. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass alles super wird, dass die Menschheit doch nicht so schlecht ist und ich einen fröhlichen und schönen Tag haben werde.

Ha, das hast du dir so gedacht.

Ich war auf dem Weg nach Hause, habe mit meiner Mama telefoniert und war voller Endorphine, weil ich meine Anschlussbahn geschafft habe.

Anscheinend war der Einstieg zur Bahn zu hoch oder ich habe einen Absatz übersehen oder was auch immer..

Dann fällst du hin. Und du schreist laut auf – aus Erschrockenheit und vor Schmerzen. Du legst das Handy zur Seite und versuchst zu verstehen, was hier passiert ist. Deine Hand krampft – natürlich, du hast dich ja auch darauf gerade abgefangen. Es tut weh – der Krampf und die Wunde an deiner Hand. Und an deinem Knie. Und an deinem Ellenbogen. Ein älterer Herr kommt zu dir. Der möchte bestimmt fragen, was passiert ist..

Das ist ja so klar. Immer diese jungen Leute mit ihren Handys in der Hand. Und dann passiert sowas, das ist ja abzusehen. Haben sie sich den Finger verknackst oder was?

Ehm wiebitte?.. Ich erkläre ihm einfach, dass das ein fokaler Anfall der Epilepsie ist, dann wird schon jemand helfen, damit du aufstehen kannst. ,;Das ist Epilepsie, das ist gerade ein kleiner Anfall.“

Immer diese Handys… Unfassbar.

Und dann geht derjenige, in den du deine Hoffnung gesteckt hattest, weiter. Alle Umstehenden glotzen dich an wie ein Tier im Zoo und schauen dann ertappt weg, wenn sich eure Blicke kreuzen. Du sitzt weiter auf dem Boden, da du bei einem Krampf nicht aufstehen kannst. Eine Minute der Scham vergeht, immer noch  rührt sich keiner. Du stehst auf, setzt dich hin und weinst. Aus Wut, aus Fassungslosigkeit und aus Trauer.

Und somit beantworte ich die Frage aus dem Titel klar mit nein

Gedankenkontrolle

Sie müssen einfach cool bleiben und sich keine Gedanken darüber machen, was eventuell passieren könnte; dann wird alles ganz einfach!

Für mich ist es schwierig, mich mit der neuen Situation zufriedenstellend abzufinden. Eigentlich hätte mir, wenn ich ehrlich bin, auch die Bratwurst gereicht. Nun auch noch Epilepsie – warum eigentlich?

Obwohl ich von Kali vor ungefähr 2 Wochen die höher dosierten Levi bekommen habe,  halten die Krämpfe sich tapfer. Es gibt Tage, an denen es nur ein einziges Mal krampft und andere Tage, an denen ich bis zu 15 Mal zucke und versteife. Ja, es hält immer nur höchstens eine Minute an aber ehrlich gesagt tut es schon weh. Doch ein gutes hat das:
Ich wache jeden Morgen mit der Hoffnung auf, dass heute der erste Tag seit 4 Wochen sein könnte, an dem ich keinen Krampf habe.

Und Hoffnung ist wirklich ein schönes Gefühl!

Gestern hatte ich meine letzten Termine in der IRENA-Klinik. Das Abschlussgespräch mit dem Oberarzt dort hat mir sehr den Tag verschönert. Er hat mir klar gemacht, dass ich eine junge Frau bin, die noch ihr komplettes Leben mit diesem Mist leben muss und dass ich mir einfach keine Gedanken darüber machen soll, was passieren könnte, sondern einfach die Tage genießen und voll ausnutzen muss, an denen es mir gut geht.

Das Zitat am Anfang stammt von ihm. Ich solle einfach nicht zu viel nachdenken, nicht alles totdenken und mir nicht so viel Stress machen.
Gerade jetzt, wo meine Prüfungsphase wieder in vollem Gange ist, solle ich mir nur so viel abverlangen, wie ich mir zutraue und auch mit Tagen einverstanden sein, an denen mein Körper nicht so funktioniert, wie ich mir das wünschen würde.

Ich glaube, dass ich allgemein auf einem guten Weg bin. Vor einigen Wochen habe ich mich gefragt, wieso meine Haut so unrein ist oder wieso mein Bauch ab und zu schmerzt.

Swenja, überlegt bitte einmal genau, was alles an Chemie in deinen Körper hereingepumpt wird. Es ist doch selbstverständlich, dass er erst einmal versucht, diese ganzen Medikamente abzustoßen und zum ‚Alltag‘ zurückzukehren.

Ich bin (nicht mehr) sauer auf meinen Körper. Wieso auch? Er kann nichts für die Probleme; genauso wenig, wie ich etwas dafür kann. Doch wir müssen jetzt beide damit beginnen, uns damit abzufinden.

Die IRENA ist vorbei, es steht mir noch ein Mal Physiotherapie bevor, ebenso wie 3 Prüfungen, und dann sitzen mein Freund und ich schon im Flugzeug nach England.
Einerseits habe ich etwas Angst davor, so weit weg von Kali und dem gewohnten Umfeld zu sein, andererseits bin ich sicher, dass sie in England eine genauso gute medizinische Versorgung haben wie in Deutschland, falls es zum Notfall kommen sollte.

Außerdem: Ich kann nicht behaupten, dass die liebe Tec mich, seitdem ich sie habe, jemals im Stich gelassen hätte. Seit dem letzten Schub im Januar kam kein weiterer hinzu und für die blöde Epilepsie kann ich sie wohl kaum verantwortlich machen. Ich muss sagen, dass sie mir wirklich treue Dienste leistet und ihr Bestes gegen die Bratwurst gibt!

Ich bin mir sicher, dass ich die letzten zwei Wochen bis zum Urlaub gut überstehen werde (vielleicht ist ja heute der erste Tag ohne Krampf!), die Prüfungen gut machen werde und mit gutem Gewissen in das schöne Königreich fliegen werde. Ich halte euch auf dem Laufenden!

PS: Danke, dass ihr trotzdem noch (manche täglich) hier vorbeischaut, obwohl es im Moment etwas ruhiger um mich geworden ist.