Metaphern über Metaphern

14 Termine bis Ende Juni in der Median-Klinik in Leipzig. Wie auch schon in Bad Klosterlausnitz beschränkt sich das Angebot der Therapien für mich auf MTT, Ausdauertraining, Wassergymnastik und Stressbewältigung (auch wenn sie das komischerweise auf dem Therapieplan mit ß schreiben).

Als erstes hatte ich gestern eine Bestandsaufnahme sozusagen mit der Ärztin der Neurologie dort in dieser Klinik. Festgestellt wurde, was alle (inklusive euch) schon wissen: das rechte Bein ist okay, das linke ist Matsch. Ich habe weder ihr Streicheln (uh la la), noch das angebliche Vibrieren dieser komischen Stimmgabel gemerkt. Nun ja, der Kaffeebohnenschritt hat auf einmal auch wieder nicht funktioniert und Temperaturempfinden am linken Bein ist auch gleich 0. Bei der Terminplanung wurde sich bei mir auf Donnerstag und Freitag beschränkt, da ich an diesen Tagen keine Uni habe und die Neurologie dort täglich nur bis 14 Uhr geöffnet hat und es sich somit nicht anders hat einrichten lassen. Mein erster Therapietag ist der 12.05. und ich bin sehr gespannt.

Was allerdings viel wichtiger war, war mein Termin bei meiner Neurologin, welcher auch gestern stattgefunden hat. Nach einer Stunde Wartezeit trotz Termin (es sei ihr verziehen, da sie sich für jeden Patienten viel Zeit nimmt und keinen Stress macht) kam ich dran. Ich habe davon erzählt, wie die Reha war, wie das Gespräch mit der IRENA war und habe dann gleich angefragt, ob sie mir vielleicht auch noch Physiotherapien verschreiben würde, da diese nicht von der Rentenversicherung gezahlt werden aber gerade diese mir sehr gut bzw. am meisten geholfen haben. Gefragt, getan. Sie hat mir sofort 10 x Einzelgymnastik verschrieben und mir gesagt, dass ich jederzeit mehr bekomme, sobald ich es brauche. Weiterhin ging es um meine liebe Freundin Tec und wie gut ich diese vertrage und auch um das Vitamin D3. Sie meinte nun wieder, widersprüchlich zu der Oberärztin in der Klinik, dass ich nicht 8000 Einheiten pro Tag nehmen soll, da das zu viel ist und man dieses Vitamin wohl auch überdosieren kann. Lieber soll ich 2500 Einheiten am Tag bzw. 20000 in der Woche zu mir nehmen, das würde reichen. Also passe ich mich darauf an und schraube die Einnahme wieder etwas runter.

Das Umfassendste des Termines war allerdings die Auswertung des MRTs von der Halswirbelsäule, was vor einer Woche gemacht wurde. Wir haben uns zusammen die CD angeschaut und leider festgestellt, dass nicht nur in meinem Gehirn, sondern auch in der Halswirbelsäule bis zu den Schultern Entzündungsherde vorhanden sind. Und da kommen wir auch schon zu den Metaphern, auf die der Titel des Eintrags hindeutet. Es sei kurz vor 12 gewesen, wir hätten gerade noch den Fuß in die Tür stellen können und so weiter und so fort. Quintessenz aus diesen ganzen Metaphern: Wäre ich im Januar nur ein paar Wochen später gekommen, so hätten wir mich wahrscheinlich nicht wieder so gut herrichten können, wie es jetzt der Fall ist.

Ich hätte auch ganz ursprünglich meinen ersten Termin beim Neurologen erst am 10.05. gehabt (wenn mich nicht die KVS so schnell weitergeleitet hätte) und da meinte meine Neurologin, dass ich bis dahin sicherlich im Krankenhaus gelandet wäre, da ich ja bis Mai schon längst nicht mehr hätte laufen können, wenn ich nicht durch einen glücklichen Zufall im Januar an sie gekommen wäre.

Was mich weiterhin nervt ist die Tatsache, dass die Moritz Klinik meinen Abschlussbericht nicht an meine Neurologin geschickt hat, sondern an meine Allgemeinärztin, mit der ich eigentlich nie nie nie wieder Kontakt haben wollte, da sie mir durch ihre inkompetente Diagnose so viel Besserung verwehrt hat. Aber meine Neurologin (ich nenne sie im Folgenden einfach Kali) meinte, dass die Allgemeinärztin (im Folgenden: dumme Kuh) somit vielleicht ein schlechtes Gewissen bekommt.

Wer’s glaubt, wird selig (um es mit einer Metapher abzuschließen).

Manchmal.. aber nur manchmal

Du musst stark sein. Du musst allen zeigen, dass du stark bist. Dass du darüberstehst. Dass es dich nicht stört, dass dein eigener Körper sich selbst zerstört. Warum denkst du so negativ? Alles wird gut. Sag es dir nur oft genug, Swenja. Alles wird gut.

Meistens schaffe ich es, mir das einzureden. Nur an solchen Tagen, an denen ich keine Kraft habe, keine Motivation, um den Haushalt zu schmeißen, um mich lange aufs Lernen zu konzentrieren oder das Haus zu verlassen… An solchen Tagen schaffe ich es nicht, so zu denken. Dann habe ich das Gefühl, dass die ganze Welt auf mich einbricht und obwohl mein Freund in solchen Momenten immer an meiner Seite ist, um mir klare Gedanken zu schaffen und mich auf die gerade Bahn zurückzuholen, schaffe ich nicht sofort, nur das Positive zu sehen.

Warum ich? Habe ich irgendwann etwas angestellt, dass ich so büßen muss? Was wäre, wenn mein Schub früher gekommen wäre? Hätte ich meine Ausbildung geschafft? Hätte ich mit nach England fliegen können, anstatt zu einer Reha zu gehen. Hätte ich meine Prüfungen gleich mitschreiben können?

Ich bin so sauer. Auf mich selber und auf meinen Körper. Ich habe zwei der drei Nachprüfungen schon geschrieben und habe es nicht vernünftig auf die Reihe bekommen, zu lernen und sie gut zu meistern. Ob ich bestanden habe, werde ich erst später erfahren.

Aber warum ist das so? Warum bekomme ich an manchen Tagen kaum ein klaren Gedanken? Wieso stelle ich mir immer und immer wieder die selben Fragen, auf die ich niemals eine Antwort finden kann? Wieder und wieder und wieder. Immer wieder.

Hört das irgendwann auf?

ein Übel kommt selten allein

Nach einigen Tagen melde ich mich mal wieder bei euch, um euch auf dem Laufenden zu halten. (Stress, Stress, Stress)

Der Alltag hat mich wieder voll in seinen Klauen gefangen: Ich bin wieder daheim in Leipzig (was auch wirklich wirklich wirklich schön ist) und gehe seit heute auch wieder zur Uni. Ich konnte die letzte Nacht vor Aufregung kaum schlafen – wie ein Kind vor seinem ersten Schultag (so stelle ich mir das zumindest vor; an meinen eigenen ersten Schultag kann ich mich nicht mehr erinnern – komischerweise).

Entspannen kann ich mich leider kaum, da ich übermorgen 2 Nachprüfungen und nächste Woche Mittwoch noch eine schreibe. Das heißt: lernen, lernen, lernen… Weiterhin muss ich ja gleichzeitig noch den Stoff von den verpassten zwei Wochen nachholen, erst einmal reinkommen in die Themen und dann auch noch das alte irgendwie in meinem zermatschten Kopf behalten.

Und das Beste an allem: Ich bin krank. Also ja, natürlich habe ich meine Bratwurst aber ich bin auch noch richtig schön erkältet. Vor zwei Tagen bin ich mit Fieber aufgestanden, was Dank Ibuprofen schnell sank. Doch meine Nase ist zu, ich klinge wie eine Kettenraucherin und sehe aus wie Rudolph. Ich darf morgen in der Uni eine Sprachaufnahme machen für ein Seminar anhand dessen ich in eine Übungsgruppe eingeteilt werden soll, was an meiner Stimme verbessert werden muss bezüglich des Lehrerberufs. Also der perfekte Zeitpunkt für eine belegte und raue Stimme. Warum zum Teufel ich? Waren da Klinikkeime in der Reha, die ich aus Solidarität gleich mit nach Hause genommen habe oder habe ich mich zu freizügig (statt 3 nur 2 Jacken) angezogen oder meint es irgendjemand einfach nicht gut mit mir? 

Heute war ich auch bei meiner Neurologin, um ein neues Rezept für meine liebe Freundin Tec zu holen. Das Erstaunliche: Egal, ob ich 14 Tabletten für eine Woche hole oder 168 für 12 Wochen: Ich bezahle nur 10 Euro zu! Das ist so unglaublich und da ich eine liebe Ärztin habe, habe ich gleich Zweiteres bekommen und spare mir somit Geld. Nun ja, die armen Studenten halt – weiß ja jeder! Ich habe auch mal gegoogled, wie viel Tecfidera eigentlich kostet. Haltet euch fest! 28000 € im Jahr!!!! Das bedeutet, dass eine Tablette, die ich einfach so innerhalb von Millisekunden meinen Rachen herunterschießen lasse ganze 38 € Wert hat!

Mama meinte, ich sei ein ganz schön teures Mädchen.

Auf Wiedersehen in Bad Klosterlausnitz!

23 Tage Moritz Klinik (entschuldigt dieses Leerzeichen dazwischen, es ist leider einfach so…).

23 Tage Rehabilitation.

23 Tage der Versuch, die Sensibilität in meinen Beinen wieder herzustellen.

23 Tage Ausdauertraining, Kraftsport, Massagen und Einzelgymnastik.

Es waren sehr schöne, lustige, hilfreiche und aufregende 23 Tage.

Seit heute Morgen bin ich erst einmal wieder zurück bei meinen Eltern und werde dann am Samstag in unser trautes Heim zurückkehren. Der Abschied von meinen, nach der Zeit sehr lieb gewonnenen, Sitznachbarn (meiner Gang sozusagen) war sehr emotional und traurig aber mit zwei netten Damen habe ich mir ausgemacht, dass wir folgende Rehas (die wir Dank chronischer Erkrankungen definitiv haben werden) zusammen bestreiten wollen.

Ich bin mit einem weinenden und einem lachenden Auge ein letztes Mal durch die Tür des Zimmers 1054 gegangen und mit dem Wissen, dass ich in 2 bis 4 Jahren wieder dort sein werde.

Ja, meine Ausdauer ist besser geworden. Ja, das Gefühl in meinem rechten Bein ist besser geworden und ja, ich habe viel über mich und meine Krankheit gelernt. Doch leider ist sie noch immer da und wird auch immer da bleiben: meine Bratwurst.

In den nächsten Tagen wird mein normales Leben in der Uni wieder losgehen und ich werde meine Prüfungen, die ich Dank des letzten Schubs verpasst habe, nachschreiben. Ich werde merken, wie der Sommer und die Hitze auf mich wirken und wie ich mit Stress umgehen werde.

Ein weiterer großer Schritt heute war, dass ich mich wieder in ein Auto gesetzt habe: auf die linke Seite der vorderen Sitze! Seit meinem Autoverkauf und nach der Diagnose habe ich mich nicht getraut, zu fahren. Ich habe zwar heute gemerkt, dass ich auf die Entfernung nicht so gut sehe und es hat wahrscheinlich auch nur so gut funktioniert, da es ein Automatikauto war und ich somit den linken, tauben Fuß nicht zum Kuppeln brauchte aber ich bin zufrieden.

Am Dienstag werde ich mir ein neues Rezept für meine liebe Freundin Tec holen und am Freitag um 06:45 Uhr zum MRT der Halswirbelsäule gehen, um zu schauen, wie weit sich die lieben Entzündungsherde in meinem Körper ausgebreitet haben. Dieses wird dann am 27.04. ausgewertet und dann kann ich euch auch sagen, wie es um mich steht. Ich hoffe einfach, dass ich durch das IRENA-Programm, an dem ich teilnehmen werde, noch mehr Kraft und Ausdauer bekomme und dass der nächste Schub lange auf sich warten lässt oder mir ganz fernbleibt.

Euphorie

Zum Glück beginnt die Zeit, in der die guten Tage überwiegen.
Ich hatte heute, drei Tage vor der Entlassung, mein Abschlussgespräch mit der Stationsärztin. Es wurden Tests gemacht, die auch bei der Aufnahme gemacht wurden und man konnte deutliche Verbesserungen sehen. Es fing damit an, dass ich mein rechtes Auge wieder weit zur Seite drehen konnte (links leider noch nicht). Weiterhin hat es funktioniert, dass ich auf einem Bein stehen konnte, ohne umzufallen, dass ich im Kaffeebohnenschritt laufen konnte, ohne Ausfallschritte zu machen und dass ich auch ohne Probleme auf Zehenspitzen und den Fersen laufen kann. Ich habe vor der Ärztin fast geweint vor Freude. All die harte Arbeit hier, all die Therapien, der Sport und die Gespräche haben gefruchtet! Ich bin so unendlich glücklich!
Weiterhin habe ich mit der Oberärztin ein Gespräch gehabt wegen eines Programms, das IRENA heißt. Das ist ein Nachsorgeprogramm der deutschen Rentenversicherung, bei dem ich 36 Therapien á 90-120 Minuten bezahlt bekomme, welche ich in einer Klinik in Leipzig machen kann. Da geht es um Sporttherapie, Stressbewältigung, Gymnastik und ähnliches. Da ich merke, wie sehr mir das hilft, werde ich mich nach diesem Programm (was bis zu einem Jahr bewilligt ist) im Fitnessstudio anmelden.
Ich habe auch mit der Ärztin über das Vitamin D3 gesprochen, da mein Vater mich auf den Zweig gebracht hat, dass der Bedarf davon bei MS-Erkrankten viel höher ist als bei gesunden Menschen. Die Ärztin hat das heute bestätigt, womit ich ab heute täglich Tabletten nehmen werde mit 8000 Einheiten vom Vitamin D3 (sonst sind ungefähr 1000 LE pro Tag empfohlen). Dies soll Beschwerden lindern und ebenso Schüben vorbeugen.
Ich habe so unendlich viel aus diesem Aufenthalt gelernt: Nicht nur, dass Sport mir gut tut, sondern auch bezüglich der Ernährung. Ich weiß jetzt, dass Schweinefleisch ‚verboten‘ ist, ebenso wie Olivenöl.
Noch 3 Tage hier und dann kann mein normales (,neues‘) Leben in Leipzig starten. Ich bin heute so euphorisch, dass ich Bäume ausreißen könnte!

Da steh ich nun, ich alter Thor – undzwar besser als je zuvor

Nach fast 3 Wochen Reha kann ich schon ein sehr positives Fazit ziehen: die Sensibilität meiner Beine ist deutlich höher, meine Ausdauer wird von Mal zu Mal besser und ich schaffe, weitere Strecken zu laufen, ohne eine Pause einzulegen.
Ich bin jetzt seit fast einer Woche auf die volle Dosis meiner kleinen Freundin Tec eingestellt und bisher ist alles super – ab und an sehe ich zwar Dank eines Flushs aus, wie ein Streuselkuchen aber ansonsten bin ich bisher sehr zufrieden.
Ob es nun wirkt oder nicht, wird sich erst dann bemerkbar machen, wenn ich innerhalb der nächsten Jahre keinen Schub mehr bekomme. Und ich hoffe wirklich sehr, dass das der Fall sein wird.
Wenn ich daran denke, wie ich während meines letzten Schubs aussah, wie ich lief und wie wenig ich sehen konnte, so will ich das wirklich nie wieder haben.
Ich genieße meine Mobilität und nutze das in vollen Zügen aus. Mein lieber Freund ist mich auch gerade besuchen, sodass ich im Moment an nichts Negatives denken kann und will!

Mein Psychologe hier hat auch einige Tests bezüglich meines Gedächtnisses und meiner kognitiven Fähigkeiten gemacht und ist sehr zufrieden und denkt, dass ich mein Studium ohne Probleme schaffen werde. O-Ton Psychologe: ,,Ne 4 ist zwar nicht anstrebenswert aber bestanden!“ Was für ein weiser Mann!

Ich werde übrigens alle 2 Jahre herkommen dürfen, da es eine chronische Erkrankung ist. Aber erstmal warten wir noch die folgenden 5 Tage und das Abschlussgespräch mit dem Arzt ab.

PS: Ich bekomme in letzter Zeit von vielen gesagt, dass sie meinen Blog lesen und ich wollte mich herzlich bedanken! Schöne Grüße auch an die Muttis meiner Freundinnen, die mitlesen!

Aus dem Leben der Swenja B.: Fahrradergometer

Sooo, na dann mal los. 8 Uhr Fahrradergometer, wer macht eigentlich diese Therapiepläne? Hm, vorgestern bin ich Level 11 gefahren, vielleicht probiere ich heute mal Level 12. 

Scheiße, erst eine Minute gefahren und die Oberschenkel brennen, lieber doch wieder ein Level runter.
Let meeeeee entertain youuuuu. Wieso haben die heute wieder JUMP an und nicht Antenne Rock? Rockmusik macht sich viel besser im Fitnessstudio.
7 Minuten und 30, du bist jetzt 3,6 km gefahren. Wenn du das für die andere Hälfte auch so schaffst, hast du 7,2 km und somit 1,1 km mehr als vorgestern.
Oh kacke, ich sollte doch nicht so dolle treten.. Was steht da? Mist, ich sehe schonwieder verschwommen. Naja, kann mich ja danach ausruhen. Ehm… 10 Minuten steht da, glaube ich.
Was? Ich soll meinen Puls ansagen? Da muss ich doch erstmal dieses Ding an mein Ohr klemmen. 150. 150!? Wow, ganz schön viel. Ich schwitze ja aber auch wie ein Schwein ey…
Endspurt, noch eine Minute. Was? Erst 5,2 km? Mist, ich wollte mich doch überbieten. Was gibt’s heute eigentlich zum Mittagessen? Oh, noch 10 Sekunden.
Puh, geschafft. 6,2 km und somit 100 Meter mehr als vorgestern, ein Glück!
Jetzt nur noch.. Ups, das dreht sich aber alles.. das noch abwischen und dann erstmal trinken. 500 ml sind echt zu wenig..
Ich bleibe lieber noch ein wenig sitzen, sonst kippe ich auf dem Weg nach oben um.
So, los geht’s. Ui, zum Glück noch ausgewichen. Achtung, Rollstuuuuhl. Gut, zum Glück sind die Gänge hier breit genug für einen Rollstuhl und eine entgegenkommende Taumelnde.
Ach man, ich sehe dieses blöde Türschloss nicht richtig. Okay, nach 5 Versuchen hast du es geschafft, Swenja. Ich bin stolz auf dich.
Ha, zum Glück kann keiner deine verrückten Gedanken lesen…

unsichtbar

Ich bin hier in der Klinik eine der wenigen Patienten, denen man (glücklicherweise) nicht sofort ansieht, warum sie hier ist. Wenn man genauer hinschaut, sieht man natürlich, dass ich etwas schief oder wackelig laufe und dass ich länger auf etwas gucken muss, um es zu erkennen. Ansonsten kann ich wirklich ‚froh‘ sein, dass es mich nicht so schlimm getroffen hat wie andere Patienten hier.
Doch das bringt leider auch negative Folgen mit sich: diese ewigen Fragen.
Eine der Nebenerscheinungen der MS ist die sogenannte Fatigue. Ist französisch für müde. Ja klar, jeder ist mal müde und geschafft aber diese Müdigkeit ist mit nichts Anderem zu vergleichen. Mit nichts vorher Dagewesenem. Man ist den ganzen Tag abgeschlagen, kaputt und müde. Und zwar immer. Egal, ob man 10 Stunden geschlafen hat oder nicht Früh, Mittag, Abend. Immer. Schlaf bringt leider keine Erholung.
Als ich am Anfang davon gelesen hatte, dachte ich mir Naja, müde sein ist doch okay. Besser als etwas anderes. Aber nein, es ist belastend und nervenraubend.
Man kann einfach keinem erklären, wie es sich anfühlt und man wünscht es auch keinem, natürlich nicht. Aber jeden Tag bekomme ich mindestens 10 Mal zu hören ,,Ach, du gähnst schonwieder. Nicht gut geschlafen?“ ,,Wieso bist du denn schonwieder müde?“ ,,Bist du einen Marathon gelaufen oder wovon bist du so kaputt?“
Wie gestern schon geschrieben: damals hätte ich mich für die Therapien hier ausgelacht. Für das Simple in ihnen. Aber leider ist es nicht so wie damals.
Hier bin jetzt ich mit meiner Bratwurst. Und die wird für immer da bleiben, wo sie ist und mich immer müde machen. Vielleicht verstehen die Leute irgendwann, was Fatigue wirklich bedeutet. (und wie es verdammt nochmal ausgesprochen wird, haha!)

Schande über mich

Ich habe nie zu schätzen gewusst, dass ich normal laufen kann.
Dass ich sehen kann, war normal. Das ist halt so. Nur Blinde können nicht sehen aber ansonsten ist das doch selbstverständlich.
Hier lerne ich jetzt Menschen kennen, bei denen die MS noch mehr zugeschlagen hat als bei mir. Die nicht nur verschwommen sehen, sondern fast nichts mehr. Eine wundervolle Frau, die ich hier kennengelernt habe, kann auf einem Auge nur noch schwarz-weiß sehen, eine andere sich nicht mehr richtig artikulieren, da sie eine Gesichtslähmung hatte.
Und dann kommt sie. Ganz schleichend und in den unpassendsten Momenten: die Wut. Wut auf mich selbst, dass ich vorher nicht alleine drauf gekommen bin, zum Neurologen zu gehen. Wut auf die Welt, dass es solche einen Mist überhaupt gibt. Und besonders, dass es mich getroffen hat. Ich habe niemals irgendetwas falsch gemacht. Nichts, was das hätte provozieren können.
Ich denke oft, dass ich es überstanden hätte. Die Trauer. Dass ich darüber hinweg bin. Und dann redet man eigentlich lustig darüber, dass wir zwei Blindfische zusammen an einem Teich stehen, uns wie Kinder freuen, dass wir die ersten Schildkröten sehen und dann kläglich feststellen müssen, dass es nur ein Stein war. Und dann redet man darüber und langsam steigt Melancholie auf. Dein Gegenüber, was so stark erschien, ist auf ein Mal so zerbrechlich und du merkst, wie es auch auf dich kommt. Ihr redet über die Ungerechtigkeit dieser Welt und sitzt zusammen vor der Klinik und weint.
Ich bin jetzt seit fast zwei Wochen in Bad Klosterlausnitz, bin sehr zufrieden mit allem hier und trotzdem ab und zu so verletzlich.
Es wird besser werden, das weiß ich. Irgendwann werde ich meine Beine wieder richtig spüren können. Irgendwann werde ich wieder länger als 10 Minuten laufen können, ohne eine Pause machen zu müssen, da ich nicht mehr richtig sehen kann.
Früher hätte ich mich für die Dinge, die ich hier machen muss, ausgelacht. Zum Psychologen gehen, Koordinationstraining machen, nur 10 Minuten Fahrradergometer fahren und völlig kaputt sein. Ich war 9 Jahre Cheerleader und habe Menschen getragen. Auf den Schulter, den Beinen und den Armen. Und auf einmal ist es möglich, dass ich nicht mal mich selbst tragen kann?