Schockstarre

Jedem Menschen passiert der gleiche Fehler. Manchen öfter, manchen seltener: Wir machen uns falsche Hoffnungen, haben falsche Erwartungen. Man nimmt sich immer wieder vor, dass man dieses Mal KEINE Erwartungen hat. Dass man neutral an eine Sache herangeht. Neutral in eine Geschichte, eine Situation hineingeht. Und doch belügt man sich selber – und steckt die Erwartungen zu hoch.

Und ja, auch mir ist das passiert. Wieder mal. Und auch ich wurde enttäuscht.

Doch was bleibt denn, wenn nicht die Hoffnung, dass alles gut wird? Gerade mit solch einer Arschlochkrankheit wie der MS.

Letztendlich klingt das ganze Vorgeplänkel schlimmer, als es in Wirklichkeit ist.
Oder doch nicht?

Mir ging es in den vergangenen Wochen und Monaten einfach zu gut, als dass ich Platz für schlechte Gedanken in meinem Kopf gehabt hätte. Deswegen habe ich auch mehrmals daran gedacht, einen neuen Beitrag zu schreiben, in dem ich euch erzähle, dass ich an manchen Tagen sogar vollkommen (okay, das ist gelogen. Aber sehr oft) vergesse, dass mein Körper sich selbst attackiert.
Doch ich wollte erst auf die Ergebnisse des MRTs warten, um euch zu zeigen, dass es mir nicht nur subjektiv gut geht, sondern dass sich auch auf den Bildern zeigt, dass in den 14 Monaten seit dem letzten Röhrenbesuch alles nur viel besser geworden ist.

BUM!

Und der erste Satz von Kali fühlte sich an wie ein Schlag mitten in die Magengrube: ,,Es sind neue Entzündungsherde zu sehen.“
Kurz sammel ich meine Gedanken und spiele vor, dass ich vollkommen gefasst sei.

BUM!

Auch der nächste Satz macht es nicht besser: ,,Wir müssen somit also leider immer noch von einer aktiven MS sprechen – nicht hochaktiv aber dennoch in Bewegung.“

BUM!

,,Drei bis vier neue Entzündungen wurden festgestellt.“

BUM!

,,Wir müssen leider ernsthaft über einen Wechsel der Medikamente nachdenken.“

Enttäuschung. Wut. Verzweiflung.

Tec hat mich belogen. Verletzt. Ihr Versprechen nicht gehalten, dass sie immer auf meinen Kopf aufpasst. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.

Ich ordne meine Gedanken, während mir Kali erzählt, dass allerdings auch einige alte Herde kleiner geworden sind. Das bringt Hoffnung. Zumindest etwas.

Auf dem Weg mit der Bahn nach Hause fühle ich mich wie damals, am 4. Januar 2017, als ich meine Diagnose bekam. Ich bin alleine. Alleine mit meinen Gedanken, die sich in einem riesigen Wirrwarr zu verknoten scheinen. Warum? Ich fühlte mich doch so so so gut. Habe ich mir nur etwas vorgespielt?

Nein, auch darauf hatte Kali eine Antwort und erklärte mir, dass mein Körper anscheinend gerade meine neuronalen Reserven aufbraucht, die er eigentlich gut und gerne für das Alter gebrauchen könnte.
Scheiße.

Soll ich jetzt den Kopf in den Sand stecken, weil es mir zwar gut geht, die Bilder meines Gehirns aber etwas anderes sagen?

Nein.

Zumindest bin ich nicht die Person dafür. Jedoch spinnen meine Gedanken so ein riesiges Netz, dass ich nicht aufhören kann zu weinen. Selbst Zuhause breche ich in Tränen aus und beginne, mich im Selbstmitleid zu baden.
Doch meine Familie, mein Freund und meine Freunde zeigen sich wie immer von ihrer besten Seite, ziehen mich aus dem Tränenmeer hinaus und öffnen mir die Augen.

Dir geht es gut! Du hast bisher alles geschafft und du wirst es auf dieses Mal schaffen. Gib doch nicht so viel auf diese scheiß Bilder und denkt verdammt nochmal nicht daran, was in 25 Jahren ist, sondern genieße JETZT, dass du dich so wohl in deinem Körper fühlst.

Sie haben ja Recht. Was bringt das ganze Gejammere? Vielleicht sind die Herde auch noch von dem letzten großen Schub im Januar 2017, da das letzte MRT ja VOR diesem gemacht wurde. Man weiß es nicht und ich muss zugeben, dass es mir auch langsam egal ist. [Ja, ihr habt mich wieder beim Lügen erwischt. Egal nicht, aber egaler. (Eine Germanistik-Studentin, die den Komparativ von egal benutzt. Grandios.)]

Es hat vier Tage gedauert, bis ich die Kraft, den Mut und die Motivation gefunden habe, diesen Beitrag zu veröffentlichen und ich habe auch gemerkt, wie ihr alle darauf gewartet habt, zu lesen, was die Ergebnisse zu sagen hatten. Vielen Dank auch für eure Unterstützung; egal ob stiller Leser, Fremder, Bekannter, Freund, Familie, Betroffener oder Nicht-Betroffener.